Bewässerungsverbot bei Sonnenschein ist ein Irrglaube

Lesen Sie hier den Leserbrief des Herrn Uwe Kohlhoff in der Zeitschrift "Gartenfreund", Ausgabe Nr. 4 | April 2019, Seite 4/26, mit ausdrücklicher Zustimmung des Verfassers und des Verlages W. Wächter GmbH:

Mit Interesse habe ich in der Februar-Ausgabe des "Berliner Gartenfreunds" den Artikel "Klimaanpassungsstrategien praxisnah umsetzen" gelesen. Es geht aufwärts in unserer Kleingartenszenerie!
Zu Ihrer Aussage "ohne Sonneneinstrahlung bewässern" möchte ich folgendes anmerken: Immer wieder kommt der Hinweis, dass bei voller Sonneneinstrahlung wegen des Linseneffekts der Wassertropfen Verbrennungen an den Blättern auftreten können und man deshalb entweder am frühen Morgen oder abends bewässern sollte.
Als studierter Naturwissenschaftler möchte ich Einspruch erheben.
In der Tat: Auch Wassertropfen, die linsenförmig vorliegen, brechen direktes Sonnenlicht, wobei es durchaus dazu kommen kann, dass die Strahlen beim Vorliegen entsprechender Linsenformen sich in einem Brennpunkt fokussieren, was zu einer erhöhten Wärmefreisetzung führt. Bei der Bewässerung ist das aber völlig irrelevant.
Warum?
1. Wassertropfen auf dem Blatt haben eine plan-konvexe bzw. unter Umständen konkav-konvexe Linsenform. Beide Linsen brechen einfallende Lichtstrahlen so, dass der Brennpunkt nicht auf der Blattoberfläche bzw. auch nicht im Blattinneren liegt, weshalb auch keine Energiefreisetzung am Blatt zu Verbrennungen führen kann. Zudem wird das Licht im Blatt schon vor der Fokussierung geschwächt, sodass auch Blätter dahinter kaum einem Verbrennungseffekt unterliegen können.
2. Wassertropfen auf dem Blatt sind nicht stabil. Durch Luftbewegungen usw. verändert sich ständig die Lichtachse, ein Brennpunkt würde sich kaum an einer Stelle lang genug halten, um eine erkennbare Erwärmung zu bewirken.
3. Linsen mit der geringen Größe von Wassertropfen schaffen es nicht, in ihrem Brennpunkt höhere Temperaturen zu erreichen, weil die Umgebung den Brennpunkt schneller auskühlt, als die Linse durch ihre Fokussierung nachliefern kann. Nur Linsen, die etwa 5 cm oder größer sind, können genug Energie fokussieren, so dass etwa Papier zum Brennen gebracht werden kann.
Wenn sich unsere Gartenfreunde streng an ein Verbot der Bewässerung im Sonnenlicht halten und abends gießen, dann ist der Garten die ganze Nacht feucht, die Nacktschnecken schwärmen aus und vermehren sich übermäßig. Weiterer Effekt: Dadurch, dass der Rasen nicht ab und zu oberflächig austrocknet, werden Moose im Konkurrenzkampf gegen Gräser ökologisch bevorzugt, wodurch immer wieder mit Vertikutieren das gezüchtete Moos beseitigt werden muss.
Außerdem haben wir noch einen anderen Aspekt. Bei sehr hohen Temperaturen, wie im vergangenen Jahr, senken die Pflanzen ihre Photosyntheseleistung. Wenn wir beim Bewässern in der Mittagshitze als Nebeneffekt eine gewisse Kühlung erreichen, dann nutzt das unseren Pflanzen.
Ich habe etliche Jahre lang zumeist bei vollem Sonnenschein bewässert und ich konnte nie einen Verbrennungsschaden erkennen. Seitdem ich nach meinem Vorruhestand nicht mehr abends bewässern muss, sondern zur Mittagszeit, habe ich weniger Nacktschnecken und kaum noch Moose.
Fazit: Wir sollten auf jeden Fall die Irrlehre vom Linseneffekt als eine solche erkennen. Unsere deutsche Art "Viel hilft viel!" sollte auch in diesem Fall auf das rechte Maß gestutzt werden. Bewässern Sie also auf keinen Fall am Abend!

Uwe Kohlhoff